2,0 van 5 sterren
Leider, Leider eine ziemliche Enttäuschung
Beoordeeld in Duitsland op 23 november 2019
Machen wir uns nichts vor: Die meisten werden dieses Buch kaufen, weil sie erfahren möchten, wie es mit Oliver und Elio weitergeht - ob sie letztlich doch noch zusammen finden, was "Call me by your name" am Ende offen lässt; vielleicht sogar negative Anzeichen dafür sendet - und nicht, weil sie große Fans des Autors oder dergleichen wären. Aus dieser Erwartungshaltung heraus will ich das Buch auch bewerten. Die Rezension kommt nicht ganz ohne Spoiler aus, die sich jedoch eher auf das große ganze beziehen. Ihr, die ihr weiter lest, seid also gewarnt.
Diesen Maßstab vorausgeschickt, ist das Buch eine einzige Enttäuschung.
Das Buch ist in vier Teile aufgespalten, von denen der erste aus Sicht von Elios Vater geschrieben ist, der zweite aus Sicht von Elio, der dritte aus Sicht von Oliver und der letzte wiederum aus Sicht von Elio. Die Teile werden dem Umfang nach - das Buch hat in der englischen Version 260 Seiten - immer kürzer und der erste Teil aus Sicht von Elios Vater nimmt die Hälfte(!) des Buches ein. Dem geneigten Leser, dem Elios und Olivers Schicksal am Herzen liegt, schwant jetzt bereits Schlimmes: Der gemeinsame Part von Oliver und Elio umfasst ganze 11 Seiten(!)
Auf den Inhalt des letzten Teils möchte ich gar nicht konkreter Eingehen, denn diejenigen, die das Buch unter der eingangs aufgestellten Prämisse lesen, würden sonst jeder Spannung auf den Ausgang beraubt. Während das berührende Gefühl, das "Call me by your name" jedenfalls mir verursacht hat, sich seinerzeit über den ganzen Roman erstreckte, wird man mit im vorliegenden Buch, sofern die wenigen Seiten gemeinsamer Zeit zwischen den beiden ein Aufkommen von derlei Eindrücken überhaupt zulassen, mit 11 Seiten abgespeist.
Für den restlichen Teil des Buches will sich dieses Gefühl von "Call me by your name" jedenfalls bei mir einfach nicht einstellen, auch wenn ich mich redlich bemüht habe, den übrigen drei Teilen, von denen der mit Oliver noch am erträglichsten ist, eine Chance zu geben. Im ersten Teil trifft Elios Vater, der gerade mit dem Zug auf dem Weg zu Elio - der Name fällt übrigens erstmals nach über 100 Seiten - ist, ein Mädel im Zug, das nicht älter als Elio ist. Auf den nächsten 120 Seiten wird dann - obwohl dies gewiss 95 % der Käufer des Buches überhaupt nicht interessiert - eine absurde Geschichte um unsterbliche Liebe auf den ersten Blick gesponnen, wobei beide eigentlich schon nach kurzen Unterhaltungen im Zugabteil glauben, nach all den wüsten Jahren in ihren Leben, in denen sie niemals wirklich gekannt hat, einen Lebensverwandten im jeweils anderen gefunden zu haben. Wenn man sich in Erinnerung ruft, wie toll "Call me by your name" geschrieben war, habe ich mich hier irgendwie in einen billigen Roman aus der Bahnhofsbücherei versetzt gesehen.
Der zweite Teil ist nicht viel besser, mag er auch aus der Sicht von Elio geschrieben sein. Die 92 Seiten sind gegen Ende mit sich häufenden Gedanken an Oliver durchsetzt, im Wesentlichen geht es aber darum, wie Elio in einer Kirche, in der er sich ein Konzert anhört, mit einem alten Mann im Alter seiners Vaters anbandelt und letztlich eine (innige) Affaire mit ihm eingeht. Wem die Lesefreude (oder eine romantische Einstellung durch die Lektüre) nicht schon im ersten Teil abhanden gekommen ist, nachdem Miranda (so der Name der Dame aus dem Zug) Elios Vater offenbart, dass sie sich ihrem Bruder in jüngeren Jahren zum Sex erboten hat, nachdem dieser sie gemeinsam mit einem seiner Freunde, dem sie sich danach tatsächlich hingab, beim gemeinsamen TV-Schauen befummelt hat, dürfte sie spätestens vergehen, wenn der Auto den Leser wissen lässt, dass Elio seine neuen Liebschaft namens Michel an seinen eigenen Sohn erinnert. Das ganze ist dann noch verstrickt mit einer kleinen Detektivstory, in deren Rahmen Elio mit Michel versucht, herauszufinden, ob der Großvater von Michel womöglich auch eine homosexuelle Liebschaft in jungen Jahren gepflegt hat.
Etwas erträglicher für mich wurde dann im dritten Teil, der bei einer Abschiedsfeier für Oliver einsteigt, der gerade in New York den letzten Abend seines Sabbatical mit Freunden feiert und dem es nun graut, wieder nach New Hampshire zurückzukehren, wobei er einen schwulen Freund und eine heterosexuelle Freundin zurücklässt, die jeweils beide verheiratet sind, zu denen er sich aber besonders hingezogen fühlt und auch über sexuelle Intimitäten sinniert. Die letzten Seiten schlagen jedoch durch vornehmlich inneren Monolog einen Bogen zu einem baldigen Zusammentreffen mit Elio...
Wie schon vorausgeschickt, will ich auf den letzten Part nicht konkreter eingehen. Egal, wie man das Ende bewertet, es ist alleine schon aufgrund des darauf verwendeten Umfangs unbefriedigend. Wem es wirklich nur um die Geschichte um Elio und Oliver geht, dem empfehle ich: Setzt euch in eine Bücherei und lest die letzten zwei Teile oder auch nur den letzten. Ansonsten verpasst ihr wirklich nichts, sondern erspart euch m.E. nur Enttäuschung. Mir bleibt nur, zu hoffen, dass die geplante filmische Fortsetzung sich nicht an diesem Buch orientiert.
31 mensen vonden dit nuttig